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- Ü b e r d i e L e h r
e d e s S p i n o z a
i n B r i
e f e n a n d e n H e r r n M o
s e s M e n d e l s s o h n .
[ J a c o b i a n M e n d e l s s
o h n ]
- __________________________________________
Jacobi und
Lessing
Pempelfort
bey Düsseldorf, den 4. November
1783.
Sie wünschen wegen
gewisser Meynungen, die ich in einem Briefe an Elise Reimarus dem
verewigten Lessing zugeschrieben habe, das Genauere von mir zu erfahren;
und da scheint es mir am besten, mich mit dem, was ich davon
mitzutheilen fähig bin, an Sie unmittelbar zu
wenden. Es gehört zur Sache,
wenigstens zu ihrem Vortrage, daß ich einiges mich selbst betreffendes
voraus schicke. Und indem ich Sie dadurch in eine etwas nähere
Bekanntschaft mit mir setze, werde ich mehr Muth gewinnen, alles frey
heraus zu sagen, und vielleicht vergessen, was mich sorgsam oder
schüchtern machen will. Ich ging
noch im Polnischen Rocke, da ich schon anfing, mich über Dinge einer
andern Welt zu ängstigen. Mein kindischer Tiefsinn brachte mich im
achten oder neunten Jahre zu gewissen sonderbaren - Ansichten (ich weiß
es anders nicht zu nennen), die mir bis auf diese Stunde ankleben. 1)
Die Sehnsucht, in Absicht der besseren Erwartungen des Menschen zur
Gewißheit zu gelangen, nahm mit den Jahren zu, und sie ist der
Hauptfaden geworden, an den sich meine übrigen Schicksale knüpfen
mußten. Ursprüngliche Gemüthsart, und die Erziehung, welche ich erhielt,
vereinigten sich, mich in einem billigen Mißtrauen gegen mich selbst,
und nur zu lange in einer desto größeren Erwartung von dem, was andre
leisten könnten, zu erhalten. Ich kam nach Genf, wo ich vortreffliche
Männer fand, die sich mit großmüthiger Liebe, mit wirklicher Vatertreue
meiner annahmen 2).
Andere von gleichem, viele von noch größerem Rufe, die ich später kennen
lernte, verschafften mir nicht die Vortheile, die ich von jenen genossen
hatte; und ich mußte mich von mehr als Einem unter diesen zuletzt mit
Verdruß und Reue über eingebüßte Zeit und verschwendete Kräfte
zurückziehen. Diese und noch andere Erfahrungen stimmten mich allmählich
zu mir selbst mehr herab; ich lernte, meine eigenen Kräfte sammeln und
zu Rathe halten. Wenn es zu allen
Zeiten nur wenige Menschen gegeben hat, die mit innigem Ernste nach der
Wahrheit rangen; so hat sich dagegen auch die Wahrheit jedem unter
diesen Wenigen auf irgend eine Weise mitgetheilt. Ich entdeckte diese
Spur; verfolgte sie unter Lebendigen und Todten; und wurde je länger je
inniger gewahr: daß ächter Tiefsinn eine gemeinschaftliche Richtung hat,
wie die Schwerkraft in den Körpern; welche Richtung aber, da sie von
verschiedenen Puncten der Peripherie ausgeht, eben so wenig parallele
Linien geben kann, als solche die sich kreuzen. Mit dem Scharfsinne,
welchen ich den Sehnen des Zirkels vergleichen möchte, und der oft für
Tiefsinn gehalten wird, weil er tiefsinnig über Verhältnisse und Form
ist, verhält es sich nicht eben so. Hier durchschneiden sich die Linien
so viel man will, und laufen zuweilen auch einander parallel. Eine Sehne
kann so nah am Durchmesser gezogen werden, daß man sie für den
Durchmesser selbst ansieht; sie durchschneidet aber dann nur eine
größere Menge Radien, ohne aufzuhören, eine Sehne zu
seyn. Verzeihen Sie mir,
Verehrungswürdigster, diesen Bilderkram. - Ich komme zu
Lessing. Immer hatte ich den
großen Mann verehrt; aber die Begierde, näher mit ihm bekannt zu
werden, hatte sich erst seit seinen theologischen Streitigkeiten, und
nachdem ich die Parabel gelesen hatte, lebhafter in mir geregt.
Mein günstiges Schicksal gab, daß ihn Allwill interessirte; daß
er mir, erst durch Reisende, manche freundliche Botschaft sandte, und
endlich, im Jahre neun und siebenzig an mich schrieb. Ich antwortete
ihm, daß ich im folgenden Frühjahr eine Reise vorhätte, die mich über
Wolfenbüttel führen sollte, wo ich mich sehnte, in ihm die Geister
mehrerer Weisen zu beschwören, die ich über gewisse Dinge nicht zur
Sprache bringen könnte. 3) Meine
Reise kam zu Stande, und den fünften Julius Nachmittags hielt ich
Lessingen zum erstenmal in meinen
Armen. Wir sprachen noch an
demselbigen Tage über viele wichtige Dinge; auch von Personen,
moralischen und unmoralischen, Atheisten, Theisten und
Christen. Den folgenden Morgen
kam Lessing in mein Zimmer, da ich mit einigen Briefen, die ich zu
schreiben hatte, noch nicht fertig war. Ich reichte ihm verschiedenes
aus meiner Brieftasche, daß er unterdessen sich die Zeit damit
vertriebe. Bey'm Zurückgeben fragte er: ob ich nicht noch mehr hätte das
er lesen dürfte. «Doch!» sagte ich (ich war im Begriff zu siegeln):
«hier ist noch ein Gedicht; - Sie haben so manches Aergerniß gegeben, so
mögen Sie auch wohl einmal eines nehmen.». . . 4) Lessing.
(Nachdem er das Gedicht gelesen, und indem er mir's zurückgab) Ich habe
kein Aergerniß genommen; ich habe das schon lange aus der ersten Hand.
Ich. Sie kennen das
Gedicht? Lessing. Das
Gedicht hab' ich nie gelesen; aber ich find' es gut.
Ich. In seiner Art, ich
auch; sonst hätte ich es Ihnen nicht gezeigt.
Lessing. Ich meyn' es
anders. . . Der Gesichtspunct, aus welchem das Gedicht
genommen ist, das ist mein eigener Gesichtspunct. . . Die
orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann
sie nicht genießen. Ἑν καὶ πᾶν! Ich weiß nichts anders. Dahin geht auch
dieses Gedicht; und ich muß bekennen, es gefällt mir sehr.
Ich. Da wären Sie ja mit
Spinoza ziemlich einverstanden.
Lessing. Wenn ich mich
nach jemand nennen soll, so weiß ich keinen andern.
Ich. Spinoza ist mir gut
genug: aber doch ein schlechtes Heil, das wir in seinem Namen finden!
Lessing. Ja! Wenn Sie
wollen!. . . Und doch... Wissen Sie etwas
besseres?. . .
Der
Dessauische Director Wolke war unterdessen hereingetreten, und wir
gingen zusammen auf die
Bibliothek. Den folgenden Morgen,
als ich, nach dem Frühstück, in mein Zimmer zurück gekehrt war, um mich
anzukleiden, kam mir Lessing über eine Weile nach. So bald wir allein
waren, hub er an: Ich bin
gekommen, über mein Ἑν καὶ πᾶν mit Ihnen zu reden. Sie erschracken
gestern. Ich. Sie
überraschten mich, und ich fühlte meine Verwirrung. Schrecken war es
nicht. Freylich war es gegen meine Vermuthung, an Ihnen einen
Spinozisten oder Pantheisten zu finden; und noch weit mehr dagegen, daß
Sie mir es gleich und so blank und baar hinlegen würden. Ich war großen
Theils in der Absicht gekommen, von Ihnen Hülfe gegen den Spinoza zu
erhalten. Lessing. Also
kennen Sie ihn doch? Ich.
Ich glaube ihn zu kennen, wie nur sehr wenige ihn gekannt haben mögen.
Lessing. Dann ist Ihnen
nicht zu helfen. Werden Sie lieber ganz sein Freund. Es giebt keine
andre Philosophie, als die Philosophie des Spinoza.
Ich. Das mag wahr seyn.
Denn der Determinist, wenn er bündig seyn will, muß zum Fatalisten
werden: hernach giebt sich das Uebrige von selbst.
Lessing. Ich merke, wir
verstehen uns. Desto begieriger bin ich, von Ihnen zu hören: was Sie für
den Geist des Spinozismus halten; ich meyne den, der in Spinoza
selbst gefahren war. Ich.
Das ist wohl kein anderer gewesen, als das Uralte: a nihilo nihil fit;
welches Spinoza, nach abgezogenern Begriffen, als die philosophirenden
Cabbalisten und andre vor ihm, in Betrachtung zog. Nach diesen
abgezogenern Begriffen fand er, daß durch ein jedes Entstehen im
Unendlichen, mit was für Bildern oder Worten man ihm auch zu helfen
suche, durch einen jeden Wechsel in demselben, ein Etwas aus dem
Nichts gesetzt werde. Er verwarf also jeden Uebergang des
Unendlichen zum Endlichen; überhaupt alle Causas transitorias,
secundarias oder remotas; und setzte an die Stelle des emanirenden ein
nur immanentes Ensoph; eine inwohnende, ewig in sich
unveränderliche Ursache der Welt, welche mit allen ihren Folgen
zusammengenommen - Eins und dasselbe
wäre. . . . . .
5) Diese
inwohnende unendliche Ursache hat, als solche, explicite, weder Verstand
noch Willen: weil sie, ihrer transcendentalen Einheit und
durchgängigen absoluten Unendlichkeit zufolge, keinen Gegenstand des
Denkens und des Wollens haben kann; und ein Vermögen einen Begriff
vor dem Begriffe hervorzubringen, oder einen Begriff der vor
seinem Gegenstande und die vollständige Ursache seiner
selbst wäre, so wie auch ein Wille, der das Wollen wirkte und
durchaus sich selbst bestimmte, lauter ungereimte Dinge
sind. . . . . Der
Einwurf, daß eine unendliche Reihe von Wirkungen unmöglich sey
(bloße Wirkungen sind es nicht, weil die inwohnende Ursache immer
und überall ist), widerlegt sich selbst, weil jede Reihe, die nicht aus
Nichts entspringen soll, schlechterdings eine unendliche seyn
muß. Und daraus folgt denn wieder, da jeder einzelne Begriff aus einem
andern einzelnen Begriffe entspringen, und sich auf einen wirklich
vorhandenen Gegenstand unmittelbar beziehen muß: daß in der
ersten Ursache, die unendlicher Natur ist, weder einzelne Gedanken, noch
einzelne Bestimmungen des Willens angetroffen werden können; - sondern
nur der innere, erste, allgemeine Urstoff derselben. . . Die
erste Ursache kann eben so wenig nach Absichten oder Endursachen
handeln, als sie selbst um einer gewissen Absicht oder Endursache willen
da ist; eben so wenig einen Anfangs=Grund oder Endzweck
haben etwas zu verrichten, als in ihr selbst Anfang oder
Ende ist. . . Im Grunde aber ist, was wir Folge oder
Dauer nennen, bloßer Wahn; denn da die reelle Wirkung mit ihrer
vollständigen reellen Ursache zugleich, und allein der
Vorstellung nach von ihr verschieden ist: so muß Folge und Dauer,
nach der Wahrheit, nur eine gewisse Art und Weise seyn, das
Mannichfaltige in dem Unendlichen anzuschauen. 6) Lessing
. . . . . . Ueber unser Credo also werden wir uns
nicht entzweyen. Ich. Das
wollen wir in keinem Falle. Aber im Spinoza steht mein Credo nicht.
Ich glaube eine verständige persönliche Ursache der Welt.
Lessing. O, desto besser!
Da muß ich etwas ganz neues zu hören bekommen. 7) Ich.
Freuen Sie sich nicht zu sehr darauf. Ich helfe mir durch einen Salto
mortale aus der Sache; und Sie pflegen am Kopf-unten eben keine
sonderliche Lust zu finden.
Lessing. Sagen Sie das
nicht; wenn ich's nur nicht nachzuahmen brauche. Und Sie werden schon
wieder auf Ihre Füße zu stehen kommen. Also - wenn es kein Geheimniß ist
- so will ich mir es ausgebeten haben.
Ich. Sie mögen mir das
Kunststück immer absehen. Die ganze Sache bestehet darinn, daß ich aus
dem Fatalismus unmittelbar gegen den Fatalismus, und gegen alles, was
mit ihm verknüpft ist, schließe. - Wenn es lauter wirkende und keine
Endursachen giebt, so hat das denkende Vermögen in der ganzen Natur bloß
das Zusehen; sein einziges Geschäft ist, den Mechanismus der wirkenden
Kräfte zu begleiten. Die Unterredung, die wir gegenwärtig miteinander
haben, ist nur ein Anliegen unserer Leiber; und der ganze Inhalt dieser
Unterredung, in seine Elemente aufgelöst: Ausdehnung, Bewegung, Grade
der Geschwindigkeit, nebst den Begriffen davon, und den Begriffen von
diesen Begriffen. Der Erfinder der Uhr erfand sie im Grunde nicht; er
sah nur ihrer Entstehung aus blindlings sich entwickelnden Kräften zu.
Eben so Raphael, da er die Schule von Athen entwarf; und Lessing, da er
seinen Nathan dichtete. Dasselbe gilt von allen Philosophieen, Künsten,
Regierungsformen, Kriegen zu Wasser und zu Lande: kurz, von allem
Möglichen. Denn auch die Affecten und Leidenschaften wirken nicht, in so
fern sie Empfindungen und Gedanken sind; oder richtiger: - in so fern
sie Empfindungen und Gedanken mit sich führen. Wir glauben
nur, daß wir aus Zorn, Liebe, Großmuth, oder aus vernünftigem
Entschlusse handeln. Lauter Wahn! In allen diesen Fällen ist im Grunde
das, was uns bewegt, ein Etwas, das von allem dem nichts
weiß, und das, in so fern, von Empfindung und Gedanke
schlechterdings entblößt ist. Diese aber, Empfindung und Gedanke, sind
nur Begriffe von Ausdehnung, Bewegung, Graden der Geschwindigkeit u.s.w.
- Wer nun dieses annehmen kann, dessen Meynung weiß ich nicht zu
widerlegen. Wer es aber nicht annehmen kann, der muß der Antipode von
Spinoza werden. 8) Lessing.
Ich merke, Sie hätten gern Ihren Willen frey. Ich begehre keinen freyen
Willen. Ueberhaupt erschreckt mich, was Sie eben sagten, nicht im
mindesten. Es gehört zu den menschlichen Vorurtheilen, daß wir den
Gedanken als das erste und vornehmste betrachten, und aus ihm alles
herleiten wollen; da doch alles, die Vorstellungen mit einbegriffen, von
höheren Principien abhängt. Ausdehnung, Bewegung, Gedanke, sind offenbar
in einer höheren Kraft gegründet, die noch lange nicht damit erschöpft
ist. Sie muß unendlich vortrefflicher seyn, als diese oder jene Wirkung;
und so kann es auch eine Art des Genusses für sie geben, der nicht
allein alle Begriffe übersteigt, sondern völlig ausser dem
Begriffe liegt. Daß wir uns nichts davon denken können, hebt die
Möglichkeit nicht auf. 9) Ich.
Sie gehen weiter als Spinoza; diesem galt .Einsicht. über alles.
Lessing. Für den
.Menschen.! Er war aber weit davon entfernt, unsere elende Art,
nach Absichten zu handeln, für die höchste Methode auszugeben, und den
Gedanken oben an zu setzen.
Ich. Einsicht ist bey
Spinoza in allen endlichen. Naturen der beste Theil; weil sie
derjenige Theil ist, womit jede endliche Natur über ihr Endliches
hinausreicht. Man könnte gewissermaßen sagen: auch er habe einem jeden
Wesen zwey Seelen zugeschrieben: Eine, die sich nur auf das gegenwärtige
einzelne Ding, und eine andre, die sich auf das Ganze bezieht. 10)
Dieser zweiten Seele giebt er auch Unsterblichkeit. Was aber die
unendliche Einzige Substanz des Spinoza anbelangt, so hat diese, für
sich allein, und ausser den einzelnen Dingen, kein eigenes oder
besonderes Daseyn. Hätte sie für ihre Einheit (daß ich mich so
ausdrücke) eine eigene, besondere, individuelle Wirklichkeit; hätte sie
Persönlichkeit und Leben: so wäre Einsicht auch an ihr der beste Theil.
Lessing. Gut. Aber nach
was für Vorstellungen nehmen Sie denn Ihre persönliche extramundane
Gottheit an? Etwa nach den Vorstellungen des Leibnitz? Ich fürchte, der
war selbst im Herzen ein Spinozist.
Ich. Reden Sie im Ernste?
Lessing. Zweifeln Sie
daran im Ernste? - Leibnitzens Begriffe von der Wahrheit waren so
beschaffen, daß er es nicht ertragen konnte, wenn man ihr zu enge
Schranken setzte. Aus dieser Denkungsart sind viele seiner Behauptungen
geflossen; und es ist, bey dem größten Scharfsinne, oft sehr schwer,
seine eigentliche Meynung zu entdecken. Eben darum halt' ich ihn so
werth; ich meyne: wegen dieser großen Art zu denken, und nicht, wegen
dieser oder jener Meynung, die er nur zu haben schien, oder auch
wirklich haben mochte.
Ich. Ganz recht. Leibnitz
mochte gern « aus jedem Kiesel Feuer schlagen». 11)
Sie aber sagten von einer gewissen Meynung, dem Spinozismus, daß
Leibnitz derselben im Herzen zugethan gewesen sey.
Lessing. Erinnern Sie
sich einer Stelle des Leibnitz, wo von Gott gesagt ist: derselbe befände
sich in einer immerwährenden Expansion und Contraction: dieses wäre die
Schöpfung und das Bestehen der Welt.
Ich. Von seinen
Fulgurationen weiß ich; aber diese Stelle ist mir unbekannt.
Lessing. Ich will sie
aufsuchen, und Sie sollen mir dann sagen, was ein Mann, wie Leibnitz,
dabey denken - konnte, oder mußte. 12) Ich.
Zeigen Sie mir die Stelle. Aber ich muß Ihnen zum voraus sagen, daß mir
bey der Erinnerung so vieler andern Stellen eben dieses Leibnitz, so
vieler seiner Briefe, Abhandlungen, seiner Theodicee und nouveaux
Essais, seiner philosophischen Laufbahn überhaupt - vor der Hypothese
schwindelt, daß dieser Mann keine Supramundane, sondern nur eine
Intramundane Ursache der Welt angenommen haben sollte.
Lessing. Von dieser Seite
muß ich Ihnen nachgeben. Sie wird auch das Uebergewicht behalten; und
ich gestehe, daß ich etwas zu viel gesagt habe. Indessen bleibt die
Stelle, die ich meyne - und noch manches andre - immer sonderbar. - Aber
nicht zu vergessen! Nach welchen Vorstellungen glauben Sie denn nun das
Gegentheil des Spinozismus? Finden Sie, daß Leibnitzens Principia ihm
ein Ende machen? Ich. Wie
könnte ich, bey der festen Ueberzeugung, daß der bündige Determinist vom
Fatalisten sich nicht unterscheidet?. . . Die Monaden, sammt
ihren Vinculis, lassen mir Ausdehnung und Denken, überhaupt
Realität, so unbegreiflich als sie mir schon waren; und ich weiß
da weder rechts noch links. . . Uebrigens kenne ich kein
Lehrgebäude, das so sehr, als das Leibnitzische, mit dem Spinozismus
übereinkäme; und es ist schwer zu sagen, welcher von ihren Urhebern uns
und sich selbst am mehrsten zum besten hatte: wiewohl in allen
Ehren!. . . . . Mendelssohn hat öffentlich gezeigt,
daß die Harmonia praestabilita im Spinoza steht. Daraus allein ergiebt
sich schon, daß Spinoza von Leibnitzens Grundlehren noch viel mehr
enthalten muß, oder Leibnitz und Spinoza (dem schwerlich Wolfens
Unterricht angeschlagen hätte 13))
wären die bündigen Köpfe nicht gewesen, die sie doch unstreitig waren.
Ich getraue mir aus dem Spinoza Leibnitzens ganze Seelenlehre
darzulegen. . . Im Grunde haben beyde von der Freyheit auch
dieselbe Lehre, und nur ein Blendwerk unterscheidet ihre Theorie. Wenn
Spinoza (Epist. LXII. Opp. Posth. p. 584. et 585.) unser Gefühl von
Freyheit durch das Beyspiel eines Steins erläutert, welcher dächte und
wüßte, daß er sich bestrebt, so viel er kann, seine Bewegung
fortzusetzen: so erläutert Leibnitz dasselbe (Theod. §. 50.) mit dem
Beyspiele einer Magnetnadel, welche Lust hätte, sich gegen Norden zu
bewegen, und in der Meynung stände, sie drehte sich unabhängig von einer
andern Ursache, indem sie der unmerklichen Bewegung der magnetischen
Materie nicht inne würde 14).
- . . Die Endursachen erklärt Leibnitz durch einen Appetitum, einen
Conatum immanentem (conscientia sui praeditum). Eben so Spinoza, der, in
diesem Sinne, sie vollkommen gelten lassen konnte; und bey welchem
Vorstellung des Aeusserlichen und Begierde, wie bey Leibnitz,
das Wesen der Seele ausmachen. - Kurz, wenn man in das Innerste
der Sache dringt, so findet sich, daß bey Leibnitz, eben so wie bey
Spinoza, eine jede Endursache eine wirkende voraussetzt. . Das
Denken ist nicht die Quelle der Substanz, sondern die Substanz ist die
Quelle des Denkens. Also muß vor dem Denken etwas Nichtdenkendes als das
Erste angenommen werden; etwas, das, wenn schon nicht durchaus in der
Wirklichkeit, doch der Vorstellung, dem Wesen, der inneren Natur nach,
als das Vorderste gedacht werden muß. Ehrlich genug hat deßwegen
Leibnitz die Seelen des automates spirituels genannt. 15)
Wie aber (ich rede hier nach Leibnitzens tiefstem und vollständigsten
Sinne, soweit ich ihn verstehe) das Principium aller Seelen für sich
bestehen könne und wirken. . ; der Geist vor der
Materie; der Gedanke vor dem Gegenstande: diesen großen Knoten, den er
hätte lösen müssen, um uns wirklich aus der Noth zu helfen, diesen hat
er so verstrickt gelassen als er
war. . . Lessing.
. . . . . Ich lasse Ihnen keine Ruhe; Sie müssen
mit diesem Parallelismus an den Tag 16)
. . . Reden die Leute doch immer von Spinoza, wie von einem
todten Hunde. . .
Ich. Sie würden vor wie
nach so von ihm reden. Den Spinoza zu fassen, dazu gehört eine zu lange
und zu hartnäckige Anstrengung des Geistes. Und keiner hat ihn gefaßt,
dem in der Ethik Eine Zeile dunkel blieb: keiner, der es nicht begreift,
wie dieser große Mann von seiner Philosophie die feste innige
Ueberzeugung haben konnte, die er so oft und so nachdrücklich an den Tag
legt. Noch am Ende seiner Tage schrieb er: . . . non praesumo,
me optimam invenisse philosophiam, sed veram me intelligere
scio [ich maße mir nicht an, die beste Philosophie
erfunden zu haben; aber ich weiß, daß ich die wahre
erkenne.]. 17)
- Eine solche Ruhe des Geistes, einen solchen Himmel im Verstande, wie
sich dieser helle reine Kopf geschaffen hatte, mögen wenige gekostet
haben. Lessing. Und Sie
sind kein Spinozist, Jacobi!
Ich. Nein, auf Ehre!
Lessing. Auf Ehre, so
müssen Sie ja, bey Ihrer Philosophie, aller Philosophie den Rücken
kehren. Ich. Warum aller
Philosophie den Rücken kehren?
Lessing. Nun, so sind Sie
ein vollkommener Skeptiker.
Ich. Im Gegentheil, ich
ziehe mich aus einer Philosophie zurück, die den vollkommenen
Skepticismus nothwendig macht.
Lessing. Und ziehen dann
- wohin? Ich. Dem Lichte
nach, wovon Spinoza sagt, daß es sich selbst, und auch die Finsterniß
erleuchtet. - Ich liebe den Spinoza, weil er, mehr als irgend ein andrer
Philosoph, zu der vollkommenen Ueberzeugung mich geleitet hat, daß sich
gewisse Dinge nicht entwickeln lassen: vor denen man darum die Augen
nicht zudrücken, sondern sie nehmen muß, wie man sie findet. Ich habe
keinen Begriff, der mir inniger als der von den Endursachen wäre; keine
lebendigere Ueberzeugung, als, daß ich thue, was ich denke;
anstatt, daß ich nur denken sollte, was ich thue. Freylich muß
ich dabey eine Quelle des Denkens und Handelns annehmen, die mir
durchaus unerklärlich bleibt. Will ich aber schlechterdings erklären, so
muß ich auf den zweiten Satz gerathen, den, in seinem ganzen Umfange
betrachtet, und auf einzelne Fälle angewandt, kaum ein menschlicher
Verstand ertragen kann.
Lessing. Sie drücken sich
beynah so herzhaft aus, wie der Reichstagsschluß zu Augsburg; aber ich
bleibe ein ehrlicher Lutheraner, und behalte «den mehr viehischen als
menschlichen Irrthum und Gotteslästerung, daß kein freyer Wille sey,»
worin der helle reine Kopf Ihres Spinoza sich doch auch zu finden
wußte. Ich. Auch hat
Spinoza sich nicht wenig krümmen müssen, um seinen Fatalismus bey der
Anwendung auf menschliches Betragen zu verstecken, besonders in seinem
vierten und fünften Theile, wo ich sagen möchte, daß er dann und wann
bis zum Sophisten sich erniedrigt. - Und das war es ja was ich
behauptete: daß auch der größte Kopf, wenn er alles schlechterdings
erklären, nach deutlichen Begriffen mit einander reimen, und sonst
nichts gelten lassen will, auf ungereimte Dinge kommen muß.
Lessing. Und wer nicht
erklären will? Ich. Wer
nicht erklären will was unbegreiflich ist, sondern nur die Grenze wissen
wo es anfängt, und nur erkennen, daß es da ist: von dem glaube ich, daß
er den mehresten Raum für ächte menschliche Wahrheit in sich ausgewinne.
Lessing. Worte, lieber
Jacobi; Worte! Die Grenze, die Sie setzen wollen, läßt sich nicht
bestimmen. Und an der andern Seite geben Sie der Träumerey, dem Unsinne,
der Blindheit freyes offenes Feld.
Ich. Ich glaube, jene
Grenze wäre zu bestimmen. Setzen will ich keine, sondern nur die
schon gesetzte finden, und sie lassen. Und was Unsinn, Träumerey und
Blindheit anbelangt. . .
Lessing. Die sind überall
zu Hause, wo verworrene Begriffe herrschen.
Ich. Mehr noch, wo
erlogene Begriffe herrschen. Auch der blindeste, unsinnigste
Glaube, wenn schon nicht der dummste, hat da seinen hohen Thron. Denn
wer in gewisse Erklärungen sich einmal verliebt hat, der nimmt jede
Folge blindlings an, die nach einem Schlusse, den er nicht entkräften
kann, daraus gezogen wird, und wär' es, daß er auf dem Kopfe ginge 18). . . . .
Nach meinem Urtheil ist das größeste Verdienst des Forschers,
Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren. . Erklärung
ist ihm Mittel, Weg zum Ziele, nächster - niemals letzter Zweck. Sein
letzter Zweck ist, was sich nicht erklären läßt: das Unauflösliche,
Unmittelbare,
Einfache. . . .
Ungemessene Erklärungssucht läßt uns so hitzig das Gemeinschaftliche
suchen, daß wir darüber des Verschiedenen nicht achten; wir wollen immer
nur verknüpfen, da wir doch oft mit ungleich größerem Vortheile
trennten. . . Es entstehet auch, indem wir nur, was erklärlich
an den Dingen ist, zusammen stellen und zusammen hängen,
ein gewisser Schein in der Seele, der sie mehr verblendet als
erleuchtet. Wir opfern dann, was Spinoza - tiefsinnig und erhaben - die
Erkenntniß der obersten Gattung nennt, der Erkenntniß der untern
Gattungen auf; wir verschließen das Auge der Seele, womit sie Gott und
sich selbst ersiehet, um desto unzerstreuter mit den Augen nur des
Leibes zu betrachten. . . 19) Lessing.
Gut, sehr gut! Ich kann das alles auch gebrauchen; aber ich kann nicht
dasselbe damit machen. Ueberhaupt gefällt Ihr Salto mortale mir nicht
übel; und ich begreife, wie ein Mann von Kopf auf diese Art Kopf=unten
machen kann, um von der Stelle zu kommen. Nehmen Sie mich mit, wenn es
angeht. Ich. Wenn Sie nur
auf die elastische Stelle treten wollen, die mich fortschwingt, so geht
es von selbst. Lessing.
Auch dazu gehörte schon ein Sprung, den ich meinen alten Beinen und
meinem schweren Kopfe nicht mehr zumuthen
darf.
_____
Diesem
Gespräche, wovon ich nur das Wesentliche hier geliefert habe, folgten
andre, die uns, auf mehr als einem Wege, zu denselben Gegenständen
zurückführten. Einmal sagte
Lessing, mit halbem Lächeln: Er selbst wäre vielleicht das höchste
Wesen, und gegenwärtig in dem Zustande der äussersten Contraction. - Ich
bat um meine Existenz. - Er antwortete, es wäre nicht allerdings so
gemeynt, und erklärte sich auf eine Weise, die mich an Heinrich Moore
und F. Marc. von Helmont, (philosophus per unum in quo omnia),
erinnerte. Lessing erklärte sich noch deutlicher; doch so, daß ich ihn
abermals, zur Noth, der Cabbalisterey verdächtig machen konnte. Dieß
ergötzte ihn nicht wenig, und ich nahm daher Gelegenheit für das Kibbel,
oder die Cabbala, im eigentlichsten Sinne, aus dem Gesichtspuncte
zu reden: daß es an und für sich selbst unmöglich sey, aus dem sich uns
darstellenden Endlichen das Unendliche zu erfinden, dann ihr Verhältniß
gegen einander zu begreifen und durch irgend eine Formel auszudrücken.
Folglich, wenn man etwas darüber sagen wollte, so müßte man aus
Offenbarung reden. Lessing blieb dabey: daß er sich alles « natürlich
ausgebeten haben wollte»; und ich: daß es keine natürliche
Philosophie des Uebernatürlichen geben könnte, und doch beydes
(Natürliches und Uebernatürliches) offenbar vorhanden wäre. 20)
_____
Wenn
sich Lessing eine persönliche Gottheit vorstellen wollte, so
dachte er sie als die Seele des Alls; und das Ganze, nach der Analogie
eines organischen Körpers. Diese Seele des Ganzen wäre also, wie es alle
andere Seelen, nach allen möglichen Systemen sind, als Seele, nur
Effect 21).
Der organische Umfang derselben könnte aber nach der Analogie der
organischen Theile dieses Umfanges in so fern nicht gedacht
werden, als er sich auf nichts, das ausser ihm vorhanden wäre, beziehen,
von ihm nehmen und ihm wiedergeben könnte. Also, um sich im Leben zu
erhalten, müßte er, von Zeit zu Zeit, sich in sich selbst gewissermassen
zurückziehen; Tod und Auferstehung, mit dem Leben, in sich vereinigen.
Man könnte sich aber von der innern Oekonomie eines solchen Wesens
mancherley Vorstellungen
machen. Lessing hing sehr an
dieser Idee, und wendete sie, bald im Scherze, bald im Ernst, auf
allerley Fälle an. - Da bey Gleim in Halberstadt (wohin mich Lessing,
nach meinem zweiten Besuche bey ihm, begleitet hatte), während wir zu
Tische saßen, unversehens ein Regen kam, und Gleim es bedauerte, weil
wir nach Tische in seinen Garten sollten, sagte Lessing, der neben mir
saß: «Jacobi, Sie wissen, das thue ich vielleicht» 22).
Ich antwortete: «Oder ich.» Gleim sah uns etwas verwundert an;
aber ohne weiter
nachzufragen.
_____
Mit
der Idee eines persönlichen schlechterdings unendlichen Wesens, in dem
unveränderlichen Genusse seiner allerhöchsten Vollkommenheit, konnte
sich Lessing nicht vertragen. Er verknüpfte mit derselben eine solche
Vorstellung von unendlicher Langerweile, daß ihm angst und weh
dabey wurde. Eine mit
Persönlichkeit verknüpfte Fortdauer des Menschen nach dem Tode, hielt er
nicht für unwahrscheinlich. Er sagte mir, er hätte im Bonnet, den er
eben jetzo nachläse, Ideen angetroffen, die mit den seinigen über diesen
Gegenstand, und überhaupt mit seinem System sehr zusammenträfen. Der
Lauf des Gesprächs, und meine genaue Bekanntschaft mit Bonnet (dessen
sämmtliche Schriften ich ehedem beynah auswendig wußte) war Schuld, daß
ich hierüber weiter nachzufragen unterließ: und da mir Lessings System
weder dunkel noch zweifelhaft geblieben war, so habe ich auch seitdem
den Bonnet nie in dieser Absicht nachgeschlagen, bis mich endlich die
gegenwärtige Veranlassung heute dazu brachte. Die Schrift des Bonnet,
welche Lessing damals nachlas, ist wohl keine andre, als die Ihnen
wohlbekannte Palingenesie gewesen; und der VII. Abschnitt des I. Theils,
in Verbindung mit dem XIII. Hauptstücke des IV. Abschnittes der
Contemplation de la nature, worauf Bonnet sich daselbst bezieht, wird
vermuthlich die Ideen, welche Lessing meynte, enthalten. Eine Stelle (S.
246. der ersten Originalausgabe) ist mir aufgefallen, wo Bonnet sagt:
Seroit-ce donc qu'on imagineroit que l'univers seroit moins
harmonique, j'ai prèsque dit, moins organique, qu'un
Animal? 23)
_____
An
dem Tage, da ich mich von Lessing trennte, um meine Reise nach Hamburg
fortzusetzen, wurde über alle diese Gegenstände noch viel und ernsthaft
geredet. Wir waren in unserer Philosophie sehr wenig auseinander, und
nur im Glauben unterschieden. Ich gab Lessingen drey Schriften des
Philosophen Hemsterhuis, von dem er, ausser dem Briefe über die
Bildhauerey, nichts kannte: Lettre sur l'homme et ses rapports, Sophile,
und Aristée. Den Aristée, den ich zu Münster bey meiner Durchreise erst
erhalten und noch nicht gelesen hatte, ließ ich ihm ungern; aber
Lessings Verlangen war zu groß. 24) Von
eben diesem Aristée fand ich Lessingen bey meiner Zurückkunft ganz
bezaubert, so daß er entschlossen war, ihn selbst zu übersetzen. - Es
wäre der offenbare Spinozismus, sagte Lessing, und in einer so schönen
exoterischen Hülle, daß selbst diese Hülle zur Entwicklung und
Erläuterung der innerlichen Lehre wieder beytrüge. - Ich versicherte,
Hemsterhuis, so viel ich von ihm wüßte (ich kannte ihn damals noch nicht
persönlich), wäre kein Spinozist; dieß hätte mir Diderot sogar von ihm
bezeugt. - «Lesen Sie das Buch, erwiderte Lessing, und Sie werden nicht
mehr zweifeln. In dem Briefe sur l'homme et ses rapports hinkt es noch
ein wenig, und es ist möglich, daß Hemsterhuis seinen Spinozismus damals
noch nicht völlig selbst erkannte; jetzt aber ist er damit ganz gewiss
im Klaren.» Um dieses Urtheil nicht
paradox zu finden, muß man mit dem Spinozismus so vertraut seyn, als es
Lessing war. Was er die exoterische Hülle des Aristée nannte, kann mit
allem Fug als eine bloße Entwickelung der Lehre von der
unzertrennlichen, innigen und ewigen Verknüpfung des Unendlichen mit dem
Endlichen; der allgemeinen (so weit) unbestimmten Kraft, mit der
bestimmten einzelnen; und des nothwendig Entgegengesetzten in ihren
Richtungen, betrachtet werden. Das übrige im Aristée wird schwerlich
jemand wider einen Spinozisten brauchen wollen. - Hierbey muß ich
dennoch feyerlich bezeugen, daß Hemsterhuis gewiss kein Spinozist,
sondern dieser Lehre in ihren wesentlichen Puncten ganz zuwider ist. 25) Den
Aufsatz sur les désirs von Hemsterhuis, hatte Lessing damals noch nicht
gelesen. Er kam an, in einem Paket an mich, da ich eben weg war. 26)
Lessing schrieb mir, seine ungeduldige Neugierde hätte ihm keinen
Frieden gelassen, bis er das Couvert erbrochen hätte, und schickte mir
den übrigen Inhalt nach Cassel. «Von der Schrift selbst (fügte er
hinzu), die mir ungemeines Vergnügen macht, nächstens ein
mehreres.» Nicht lange vor seinem
Ende, den vierten Dec. schrieb er mir: «Bey Woldemar fällt mir ein, daß
ich mich anheischig gemacht, Ihnen meine Gedanken über des Hemsterhuis
System von der Liebe mitzutheilen. Und Sie glauben nicht wie genau diese
Gedanken mit diesem System zusammenhangen, das, meiner Meynung nach,
eigentlich nichts erklärt, und mir nur, mit den Analysten zu sprechen,
die Substitution einer Formel für die andre zu seyn scheinet, wodurch
ich eher auf neue Irrwege gerathe, als dem Aufschlusse näherkomme. -
Aber bin ich jetzt im Stande, zu schreiben was ich will? - Nicht einmal,
was ich muß, u.s.w.» 27)
_____
Ehe
mir Lessings Meynungen auf die bisher erzählte Weise waren bekannt
geworden, und in der festen Ueberzeugung, die sich auf Zeugnisse
stützte: Lessing sey ein rechtgläubiger Theist, war mir in seiner
Erziehung des Menschengeschlechts einiges ganz unverständlich, besonders
der 73 §. Ich möchte wissen, ob sich jemand diese Stelle anders, als
nach Spinozistischen Ideen deutlich machen kann. Nach diesen aber wird
der Commentar sehr leicht. Der Gott des Spinoza ist das lautere
Principium der Wirklichkeit in allem Wirklichen, des Seyns in
allem Daseyn, durchaus ohne Individualität, und schlechterdings
unendlich. Die Einheit dieses Gottes beruhet auf der Identität des
Nichtzuunterscheidenden, und schließt folglich eine Art der Mehrheit
nicht aus. 28)
Bloß in dieser transcendentalen Einheit angesehen, muß die
Gottheit aber schlechterdings der Wirklichkeit entbehren, die nur im
bestimmten Einzelnen sich ausgedrückt finden kann. Diese, die
Wirklichkeit, mit ihrem Begriffe, beruhet also auf der Natura
naturata (dem Sohne von Ewigkeit), so wie jene, die Möglichkeit, das
Wesen, das Substanzielle des Unendlichen, mit seinem
Begriffe, auf der Natura naturanti (dem Vater). 29) Was
ich vom Geiste des Spinozismus vorhin darzustellen mich bemühet habe,
läßt mich eine weitere Entwickelung hier für überflüssig
halten. Unter wie mancherley
Bildern diese nämlichen Vorstellungen, minder oder mehr verworren, seit
dem grauesten Alterthume bey den Menschen gewohnt haben, wissen Sie so
gut als ich. - «Die Sprache unterliegt hier den Begriffen allerdings» 30),
so wie ein Begriff dem
andern.
_____
Daß
Lessing das Ἑν καὶ πᾶν als den Inbegriff seiner Theologie und
Philosophie, öfter und mit Nachdruck anführte, können mehrere bezeugen.
Er sagte und er schrieb es, bey Gelegenheiten, als seinen ausgemachten
Wahlspruch. So steht es auch in Gleims Gartenhause, unter einem
Wahlspruche von
mir.
_____
Was
ich erzählt habe, ist nicht der zehnte Theil von dem, was ich hätte
erzählen können, wenn mir mein Gedächtniß, in Absicht der Einkleidung
und des Ausdrucks genug hätte beystehen wollen. Aus eben diesem Grunde
habe ich in dem wirklich Erzählten, Lessing, so sparsam als ich konnte,
redend eingeführt. Wenn man ganze Tage, und von vielen sehr
verschiedenen Dingen mit einander spricht, muß sich die Erinnerung des
Details verlieren. Hierzu kommt noch dieses. Da ich einmal ganz
entschieden wußte: Lessing glaubt keine von der Welt unterschiedene
Ursache der Dinge; oder, Lessing ist ein Spinozist - so drückte, was
er nachher darüber nur auf diese oder jene neue Weise sagte, sich mir
nicht tiefer ein als andre Dinge. Seine Worte behalten zu wollen, konnte
mir nicht einfallen; und daß Lessing ein Spinozist war, schien mir sehr
begreiflich. Hätte er das Gegentheil behauptet, worauf meine Wißbegierde
gespannt war, so würde ich, sehr wahrscheinlich, von jedem bedeutenden
Worte noch Rechenschaft zu geben
wissen.
_____
Hiermit
wäre nun ein großer Theil von dem, was Ew. Wohlgeb. von mir verlangten,
abgethan, und ich hätte einiger besondern Fragen nur mit wenigem noch zu
erwähnen. Diese besondern Fragen,
ich muß es Ew. Wohlgeb. gestehen, haben mich etwas befremdet, weil sie,
des Schlimmeren nicht zu gedenken, eine Unwissenheit bey mir
voraussetzen, - in der ich mich vielleicht befinden konnte - wovon Sie
aber den Verdacht zu hegen, und so unbesorgt zu offenbaren, durch nichts
Aeusserliches veranlaßt
waren. Sie fragen: «Ob Lessing
mit trockenen Worten gesagt: ich halte das System des Spinoza für wahr
und gegründet? Und welches? Das in seinem Tract. Theologico Politico,
oder in seinen Princ. Philos. Cartesianae vorgetragene; oder dasjenige,
welches Ludovicus Mayer in seinem Namen nach seinem Tode bekannt
machte?» Wer nur etwas von
Spinoza weiß, dem ist auch die Geschichte seiner demonstrirten Lehre des
Cartesius bekannt, und daß sie mit dem Spinozismus nichts zu thun hat.
31) Von
einem System des Spinoza, welches Ludovicus Mayer nach Spinoza's Tode
bekannt gemacht haben soll, weiß ich nichts; es müßten denn die Opp.
Posth. selbst damit gemeynt seyn. - Oder vielleicht nur die Vorrede; und
Lessing hätte meiner dergestalt gespottet, daß er die darin enthaltene
Auslegung des Spinozismus mir als seinen Glauben aufgebunden hätte? -
Dieses aber wäre doch zu arg! - Also die Opp. Posth. selbst? - Wenn es
aber diese sind, so kann ich nicht begreifen, wie Sie ihnen den Tract.
Th. Pol. auf irgendeine Art entgegensetzen wollen. Was der Tract.
Th. Pol. von dem Lehrgebäude des Spinoza in sich faßt, damit stimmen
seine nachgelassenen Schriften völlig überein. Auch bezieht er sich auf
jenen, bis ans Ende seiner Tage, ausdrücklich und an mehr als einem
Orte. Sie fragen weiter: «Ob
Lessing das System so genommen, wie es Bayle mißverstanden, oder wie
andere es besser erklärt
haben?» Zwischen verstehen und
nicht mißverstehen ist ein Unterschied. Bayle hat das System des
Spinoza, was die Schlußsätze anbelangt, nicht mißverstanden; man kann
nur sagen, daß er es nicht weit genug zurück verstanden, nicht
die Gründe davon, nach dem Sinne des Verfassers, eingesehen hat. Wenn
Bayle, nach dem Sinne Ihres Vorwurfes, den Spinoza mißverstanden hat; so
hat ihn, nach demselben Sinne, Leibnitz noch ein wenig ärger
mißverstanden. Vergleichen Sie beliebigst die Exposition des Bayle in
den ersten Zeilen der Anmerkung N, mit dem was Leibnitz in den §§
31. Praef. Theod. 173, 374, 393, Theod. von den Lehren des Spinoza
aussagt. - Haben Leibnitz und Bayle aber das System des Spinoza nicht
mißverstanden, so haben es die andern wirklich mißverstanden, die es
besser zu erklären meynten; oder, sie verdrehten es. Die letzten sind
eben nicht meine Leute; und ich stehe dafür, daß sie auch Lessings Leute
nicht waren. Die Anrede: «Lieber
Bruder! Der so sehr verschrieene Spinoza mag wohl u.s.w.» ist von
Lessing nicht an mich gehalten
worden. Daß ich meine Beschwerden
so dürr und trocken, ja wohl etwas herb vorgetragen habe, dürfen Sie mir
nicht zum bösen deuten, lieber edler Mendelssohn. Gegen einen Mann, den
ich so wie Sie verehre, war dieser Ton der einzige, der mir
geziemte. Ich bin, u.s.w. _____________
1) S.
die Beylage III.
2) S.
das Gespräch über Idealismus und Realismus, im zweiten Bande dieser
Sammlung S. 118. folgg.
3) Die
eignen Worte meines Briefes, den ich jetzt wieder habe, und von welchem
ich keine Abschrift besaß, waren diese: «Ich sehne mich unaussprechlich
nach jenen Tagen; auch darum, weil ich die Geister einiger Seher in
Ihnen beschwören und zur Sprache bringen möchte, die mir nicht genug
antworten.»
4) Prometheus.
(S. Göthe, aus meinem Leben Th. 3. S. 477.)
Bedecke
deinen Himmel, Zevs Mit Wolkendunst, Und übe, Knaben
gleich, Der Disteln köpft, An Eichen dich und Bergeshöhn! Mußt
mir meine Erde Doch lassen stehn Und meine Hütte, die du nicht
gebaut; Und meinen Herd, Um dessen Glut Du mich beneidest!
Ich kenne nichts ärmeres Unter der Sonn', als euch,
Götter! Ihr nähret kümmerlich Von Opfersteuern Und
Gebetshauch Eure Majestät! Und darbtet, wären Nicht Kinder und
Bettler Hoffnungsvolle Thoren.
Da ich ein Kind war, Nicht
wußte wo aus wo ein, Kehrt' mein verirrtes Auge Zur Sonne, als
wenn drüber wär' Ein Ohr, zu hören meine Klage, Ein Herz wie
meins, Sich des Bedrängten zu erbarmen!
Wer half mir Wider
der Titanen Uebermuth; Wer rettete vom Tode mich, Von Sklaverey?
Hast du nicht alles selbst vollendet, Heilig glühend
Herz? Und glühtest jung und gut, Betrogen, Rettungsdank Dem
Schlafenden da droben!
Ich dich ehren? Wofür? Hast du die
Schmerzen gelindert Je des Beladenen? Hast du die Thränen
gestillet Je des Geängsteten? Hat nicht mich zum Manne
geschmiedet Die allmächtige Zeit Und das ewige Schicksal, Meine
Herrn und deine?
Wähntest du etwa Ich sollte das Leben
hassen, In Wüsten fliehn, Weil nicht alle Blüthenträume -
reiften?
Hier sitz' ich, forme Menschen Nach meinem
Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sey: Zu leiden, zu
weinen, Zu geniessen und zu freuen sich, Und dein nicht zu
achten, Wie ich!
5) Ich
fahre in dieser Darstellung fort, und ziehe, um nicht zu weitläufig zu
werden, so viel ich kann, zusammen, ohne die Zwischenreden
aufzuschreiben. Was unmittelbar hier folgt, wurde herbeygeführt, indem
Lessing als des Dunkelsten im Spinoza erwähnte, was auch Leibnitz so
gefunden und nicht ganz verstanden hätte (Theod. §. 173.). Ich mache
diese Erinnerung hier Ein für Allemal, und werde sie in der Folge, wo
ich mir ähnliche Freyheiten nehme, nicht wiederholen. (Anm. der ersten
Ausgabe.)
6) S.
Beylage VII.
7) S.
Beylage IV.
8) Vgl.
die Abhandlung über die Unzertrennlichkeit des Begriffs der
Freyheit und Vorsehung von dem Begriffe der Vernunft im zweiten Bande
dieser Sammlung [der Werke Jacobis] S. 311.
9) S.
Beylage V.
10) Wiewohl
auch nur mittelst dieses Körpers, der kein absolutes Individuum seyn
kann (indem ein absolutes Individuum eben so unmöglich, als ein
individuelles Absolutum ist. Determinatio est negatio. Opp. posth. p.
558.); sondern allgemeine unveränderliche Eigenschaften und
Beschaffenheiten, die Natur und den Begriff des Unendlichen enthalten
muß. Mit dieser Unterscheidung hat man einen von den Hauptschlüsseln zu
dem System des Spinoza, ohne welche man in demselben überall
Verworrenheit und Widersprüche findet. (Anm. der ersten Ausgabe.)
11) Lessings
Beyträge, I. S. 216.
12) Den
Aufschluß dieses Räthsels findet der Leser in der Beylage VII.
13) S.
Mendelssohns Philosoph. Schriften, das 3te Gespräch, am Ende.
14) Atque
haec humana illa libertas est, quam omnes habere jactant, et quae in hoc
solo consistit, quod homines sui appetitus sunt conscii, et causarum,
a quibus determinantur, ignari [Und das ist die menschliche
Freyheit, die alle haben wollen, und die bloß darin besteht, daß die
Menschen sich ihres Verlangens, aber nicht der Ursachen, durch die sie
bestimmt werden, bewußt sind.] - sagt Spinoza, in demselbigen
63ten Briefe. Von jener Wendung,
womit die Deterministen dem Fatalismus auszuweichen glauben, mangelte
Spinoza keinesweges der Begriff. Sie schien ihm aber so wenig ächt
philosophischer Art zu seyn, daß ihm das Arbitrium indifferentiae, oder
die Voluntas aequilibrii sogar noch lieber war. Man sehe, unter andern
im I. Th. der Ethik, das 2te Schol. der 33ten Prop. am Schlusse. Ferner
im III. Theile das Sch. der 9ten Prop. und vornehmlich die Vorrede zum
IV. Theile. (Anm. d. e. A.)
15) Dieselbige
Benennung findet sich auch beym Spinoza, wiewohl nicht in seiner Ethik;
sondern in dem Bruchstücke: De Intellectus Emendatione. Die Stelle
verdient, daß ich sie abschreibe. At ideam veram simplicem esse
ostendimus, aut ex simplicibus compositam, et quae ostendit, quomodo, et
cur aliquid sit, aut factum sit, et quod ipsius effectus objectivi in
anima procedunt ad rationem formalitatis ipsius objecti; id, quod idem
est, veteres dixerunt, nempe veram scientiam procedere a causa ad
effectus; nisi quod nunquam, quod sciam, conceperunt, uti nos hic,
animam secundum certas leges agentem, et quasi aliquod automa
spirituale. [Ich habe aber gezeigt, daß die wahre Idee einfach oder
aus einfachen Ideen zusammengesetzt ist; daß sie zeigt, wie oder warum
etwas sei oder geschehen sei; daß ihre objektiven Wirkungen in der Seele
nach Verhältnis der Formhaftigkeit des Objekts selbst vorgehen; und das
ist dasselbe, was die Alten so ausdrückten die wahre Wissenschaft
schreite von den Ursachen zu den Wirkungen fort; nur daß die Alten -
soviel ich weiß - niemals, wie wir eben, annahmen, daß die Seele nach
gewissen Gesetzen handle und gleichsam ein geistiges Automa sei.]
(Opp. Posth. p. 384). Die Ableitung des Wortes αὐτόματον, und was
Bilfinger dabey erinnert, ist mir nicht unbekannt. (A. d. e. A.)
16) S.
die Beylage VI
17) In
seinem Briefe an Albert Burgh. Er fügt hinzu: «Quomodo autem id sciam,
si roges, respondebo, eodem modo, ac tu scis tres angulos Trianguli
aequales esse duobus rectis, et hoc sufficere negabit nemo, cui sanum
est cerebrum nec spiritus immundos somniat, qui nobis ideas falsas
inspirant veris similes: est enim verum index sui et falsi. [Wenn du
fragst, wie ich das wisse, so antworte ich: eben so wie du weißt, daß
die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten gleich sind; niemand, der
ein heiles Hirn hat und nicht träumt, ein unreiner Geist habe ihm
falsche Ideen für wahrscheinlich eingehaucht, wird leugnen, daß das
genüge, denn das Wahre weist auf sich selbst und auf das Falsche hin.]»
- Spinoza machte einen großen Unterschied zwischen gewiss seyn und nicht
zweifeln. (A. d. e. A.)
18) S.
Beylage VII.
19) Ich
finde, da ich eben diesen Bogen durchsehe, in einem meisterhaften
Aufsatze (von Göthe. Deutscher Merkur, Feb. 1789. S. 127.) eine Stelle,
die ich, um das obige zu bestätigen, hier einrücken will. «Wir sollten,
dünkt mich, immer mehr beobachten, worin sich die Dinge, zu deren
Erkenntniß wir gelangen mögen, von einander unterscheiden, als wodurch
sie einander gleichen. Das Unterscheiden ist schwerer, mühsamer, als das
Aehnlichfinden, und wenn man recht gut unterschieden hat, so vergleichen
sich alsdann die Gegenstände von selbst. Fängt man damit an, die Sachen
gleich oder ähnlich zu finden, so kommt man leicht in den Fall, seiner
Hypothese oder seiner Vorstellungsart zu lieb, Bestimmungen zu
übersehen, wodurch sich die Dinge sehr von einander
unterscheiden.» 20) S.
Beylage VII.
21) Auch
nach dem System des Leibnitz. - Die Entelechie wird durch den
Körper (oder den Begriff des Körpers) erst zum Geiste.
(Anm. d. erst. Ausg.) - Die Richtigkeit dieses etwas hart
ausgesprochenen Satzes ist in meinem Schreiben an Mendelssohn vom 21ten
April 1785. bewiesen worden, und findet sich in dem Gespräche über
Idealismus und Realismus noch ausführlicher dargethan. Hansch
erzählt von Leibnitz, derselbe hätte einmal beym Caffeetrinken zu ihm
gesagt, es möchten wohl in der Tasse heißen Caffee's, die er gegenwärtig
zu sich nähme, Monaden seyn, die einst als vernünftige Menschliche
Seelen leben würden (Hansch Leibn. Princ. Ph. demonstr. §. 16. Sch. 3.).
Leibnitz selbst schrieb an Des Bosses (Opp. II. P. I. p. 283.):
«Entelechia nova creari potest, etsi nulla nova pars massae creetur,
quia etsi jam massa habeat unitates, tamen novas semper capit,
pluribus aliis dominantes: ut si fingas Deum ex massa quoad totum
non organica, v. g. ex rudi saxo, facere corpus organicum, eique suam
animam praeficere.» - Und in einem andern Briefe an eben diesen Des
Bosses (ibid. p. 269.): «Finge animal se habere ut guttam olei, et
animam ut punctum aliquod in gutta. Si jam divellatur gutta in partes,
cum quaevis pars rursus in guttam globosam abeat, punctum illud existet
in aliqua guttarum novarum. Eodem modo animal permanebit in ea parte, in
qua anima manet, et quae ipsi animae maxime convenit. Et uti natura
liquidi in alio fluido affectat rotunditatem, ita natura materiae a
sapientissimo auctore constructae, semper affectat ordinem, seu
organizationem. Hinc neque animae, neque animalia destrui possunt;
etsi possint diminui, atque obvolvi, ut vita eorum nobis non
appareat.» - Weder die Erzählung von Hansch, noch die Stellen von
Leibnitz selbst stehen zum Beweise hier; denn ich habe den
vollständigen Beweis an den angezeigten Orten schon geführet: sie
sollen nur an dasjenige, was dort gesagt und mit entscheidenden
Stellen belegt ist, erinnern.
Ueber den Text zu dieser
Anmerkung hat sich Herder in seinem Gott auf eine Weise
ausgelassen, die ich noch mit ein paar Worten berühren muß.
«Erwägen Sie,» sagt
Theophron (S. 175. der ersten Ausg.), «die ungeheuren Folgen
eines trüglichen Bildes: Gott, die Seele des Ganzen, sey ein Effect;
nichts als ein Effect der Welt; alle andere Seelen, nach allen möglichen
Systemen, seyen als Seelen nur Effecte. Wahrscheinlich nur Effecte der
Zusammensetzung, ohne etwas Zusammensetzendes»
u.s.w. Gott, die Seele des
Ganzen - NICHTS als ein Effect der Welt? Die Seelen - wahrscheinlich
nur Effect der Zusammensetzung ohne Zusammensetzendes? Wo hat
Herder dieß gelesen? - - Ich verweise auf mein Schreiben an Mendelssohn
vom 21ten April 1785, in welchem die Sache hinlänglich auseinander
gesetzt ist. Auch Mendelssohn glaubte gelesen zu haben, Lessing mache
die Entelechien des Leibnitz zu bloßen Wirkungen des Körpers. Ich
zeigte ihm seinen Irrthum, und hatte folgendes hinzugesetzt: «Letzteres»
(nämlich: die Entelechie des Leibnitz sey bloß Effect des
Körpers; wie ich in der Note, welche Mendelssohn in den Text zog,
gesagt haben sollte) «könnte ich nicht im Traume, nicht in der
Fieberhitze gesagt haben; geschweige, daß ich es gesund und wachend
schriftlich von mir gegeben hätte.» Ein berühmter Gelehrter, welchem ich
eine Abschrift meines Aufsatzes geschickt hatte, rieth mir diese letzten
Zeilen, in denen man etwas Beleidigendes für Mendelssohn finden könnte,
zu vertilgen, welches ich bey der öffentlichen Bekanntmachung auch
gethan habe. Herder wußte um diesen guten Rath, und hatte das Schreiben
an Mendelssohn vom 21ten April wahrscheinlich mehr als Einmal gelesen:
wie war es denn möglich, daß er eine ungereimte Meynung, wider die ich
mich so nachdrücklich erklärt hatte, Lessingen oder mir von neuem
aufbürden konnte? Ich möchte
wissen, wie Herder sich eine Seele - nicht als Substanz,
nicht als denkende Kraft überhaupt - sondern bloß als die Seele
eines gewissen bestimmten Leibes, als die ausschließliche
bloße Vorstellung desselben denken wollte, wenn nicht als
eine Wirkung der gewissen, bestimmten, ausschließlichen Form, deren
Vorstellung in so fern allein ihr Wesen ausmacht. Freylich ist
dieser Gedanke Lessings äusserst abgezogen; aber er mußte so scharf
gegriffen werden, wenn er in der Verbindung, worin er vorkommt,
Bedeutung und Anwendung haben sollte.
Herder findet überhaupt das Bild
einer Weltseele bedenklich, welches einigermaßen befremden könnte, da
seine Verbesserung des Spinozismus darauf allein hinausläuft, den Gott
dieses Systems in eine Weltseele zu verwandeln. Er scheint aber nur zu
fürchten, daß man durch dieses Bild oder Wort sich verführen lasse, eine
persönliche Gottheit zu träumen. (S. Herders Gott, S. 174-177.)
22) In
dem Verstande, worin man sagt: ich verdaue, ich mache gute oder schlimme
Säfte, u.d.m.
23) S.
den Auszug aus Bruno, Beylage I.
24) Lessing
hatte mich nach Braunschweig begleitet, und es fügte sich, daß wir den
Abend, ohne Abschied zu nehmen, von einander kamen. Lessing schrieb mir
ein Billet, welches mich nicht mehr traf, und das er selbst mir bey
meiner Zurückkunft einhändigte. Da es in Beziehung auf den Faden meiner
Erzählung nicht ganz unbedeutend, und nicht ohne urkundliche Kraft ist,
so mag es, ob es übrigens gleich unbedeutend ist, hier dennoch seinen
Platz behaupten. Lieber
Jacobi, Mündlich habe ich von
Ihnen nicht Abschied nehmen sollen. Schriftlich will ich
es nicht thun. Oder welches einerley ist, und mir die kindische
Antithese erspart; soll ich es auch
nicht. Ich werde oft genug in
Gedanken bey Ihnen seyn. Und wie kann man denn sonst beyeinander seyn,
als in Gedanken? Reisen Sie
glücklich, und kommen Sie gesund und vergnügt wieder. Ich will indes
alles mögliche anwenden, daß ich sodann weiter mit Ihnen reisen
kann. Meinen besten Empfehl an
Ihre Schwester. Wolfenbüttel,
den 11. Jul. 1780.
Der Ihrige
Lessing.
25) S.
Beylage II., auch Beylage I.
26) Ich
hatte während meines ersten Aufenthalts zu Wolfenbüttel, um Lessings
großes Verlangen nach dieser Schrift zu befriedigen, darum schreiben
müssen.
27) Hier
der ganze Brief; vielleicht einer der letzten, die Lessing geschrieben
hat.
Wolfenbüttel, den 4. Dec.
1780. Lieber
Jacobi, Langer, von
dem ich diesen Augenblick einen Brief aus Amsterdam erhalte, kann Ihnen
gesagt haben, daß er mich im Begriff verlassen, nach Hamburg zu reisen.
Da bin ich so lange gewesen, als ich Hoffnung hatte, meine verlorene
Gesundheit und Laune unter meinen alten Freunden wieder zu finden. Ich
weiß selbst nicht mehr, wie lange das war. Freylich sollte ich sie eher
aufgegeben haben, diese Hoffnung. Aber wer giebt die Hoffnung gern
anders, als gezwungen, auf? Endlich bin ich ohnlängst wieder
zurückgekommen. Am Körper, bis auf die Augen, allerdings etwas besser:
aber am Geiste weit unfähiger. Unfähig zu allem, was die geringste
Anstrengung erfordert. Würde ich
Ihnen nicht schon längst geschrieben haben? - Möchten Sie doch in meiner
Seele eben so fertig lesen können, als ich mich in Ihrer zu lesen
getraue. Ich verstehe es sehr wohl, was Ihnen ekeln mußte, mir noch
einmal zu schreiben, nachdem Sie es ** schon einmal geschrieben
hatten. . . . . . (Die hier ausgelassene
Stelle betrifft meine damalige politische Lage). . . .
Auch wüßte ich nicht, was ich nicht lieber von Ihnen lesen möchte, als
eine Rechtfertigung Ihrer selbst. Der Mann, wie Sie, hat bey mir niemals
unrecht, wenn er es auch gegen eine ganze Welt haben könnte, in die
er sich nicht hätte mengen
sollen. Hängen Sie, lieber
Jacobi, Ihren Cameralgeist ganz an Nagel, und setzen sich ruhig hin, und
vollführen Ihren Woldemar. Bey
Woldemar fällt mir ein, daß ich mich anheischig gemacht, Ihnen meine
Gedanken über des Hemsterhuis System von der Liebe mitzutheilen. Und Sie
glauben nicht, wie genau diese Gedanken mit diesem System
zusammenhängen, das, meiner Meynung nach, eigentlich nichts erklärt, und
mir nur, mit den Analysten zu sprechen, die Substitution einer Formel
für die andere zu seyn scheint, wodurch ich eher auf neue Irrwege
gerathe, als dem Aufschlusse näherkomme. - Aber bin ich jetzt imstande,
zu schreiben, was ich will? - Nicht einmal, was ich muß. -
Denn eins muß ich doch noch wohl; fragen muß ich doch noch wohl,
ob der T** ganz und gar in die Jülichische und Bergische Geistlichkeit
gefahren sey? Ich denke, Sie sind es wohl selbst, der mir das Proclama,
oder wie die Abscheulichkeit sonst heißt, zugeschickt hat. Gott! der
Nichtswürdigen! Sie sind es werth, daß sie von dem Pabstthum wieder
unterdrückt, und Sklaven einer grausamen Inquisition werden! Was Sie
näheres von diesem unlutherschen Schritte wissen, das melden Sie mir
doch. Empfehlen Sie mich allen
den Ihrigen, besonders denen, die ich kenne. Daß unsere Neigung noch
immer einen Unterschied zwischen Leuten macht, die man gesehen, und die
man nicht gesehen hat; wissen Sie wohl, «ist nicht meine
Erfindung.» (Diese letzten Worte beziehen sich auf eine Stelle in
Hemsterhuis sur les
désirs.) Ihrem Herrn Bruder, der
nun bald wieder hier durchkommt, sagen Sie, daß D* nicht zu Hause, und
alle Wirthshäuser hier, bis auf meines, wegen der Pest verschlossen
sind.
28) S.
Beylage VII.
29) Ich
ersuche den Leser, sich bey diesem zu sehr in die Kürze gedrängten, und
daher äusserst dunkel gewordenen Commentar nicht aufzuhalten. In den
folgenden Briefen wird die Sache klar genug erscheinen. (A. d. erst.
Ausg.)
30) Erziehung
des Menschengeschlechts §. 73. am Ende. (Vgl. Tennemann Gesch. der Phil.
Th. 9, S. 133, über die Meynungen des Nic. Cusanus; besonders folgende
Stelle aus dessen Schrift de docta ignorantia: Ab unitate
gignitur unitatis aequalitas; connexio vero ab unitate procedit et ab
unitatis aequalitate. - Quemadmodum generatio unitatis ab unitate est
una unitatis repetitio, ita processio ab utroque est repetitionis illius
unitatis, sive mavis dicere, unitatis et aequalitatis unitatis ipsius
unitio.)
31) Nämlich
in so fern diese Princ. Phil. Cartes. Sätze enthalten, die sich mit dem
in dem Tract. Th. Pol. und in der Ethik aufgeführten Lehrgebäude nicht
vertragen, in welchem Sinne allein eines dem andern entgegengesetzt
werden kann. Man sehe die Vorrede zu den Princ. Ph. Cart., den Brief
des Spinoza an Heinr. Oldenburg Opp. Posth. p. 422; und den an W.
Bleyenberg, ib. p. 518.
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